Dammschnitt – Körperverletzung
Leitlinie führt hoffentlich zu weniger Dammverletzungen
Der Dammschnitt als "geburtshilflicher" Eingriff ist umstritten. Einerseits sprechen medizinische Stellungnahmen von einer Bagatelle, andererseits beklagen Frauen diesen Eingriff im Genitalbereich als Körperverletzung mit teilweise nachhaltigen Folgen. Strafanzeigen wurden von Staatsanwaltschaften zurückgewiesen mit der Feststellung, es läge nicht im staatlichen Interesse, solche Eingriffe strafrechtlich zu verfolgen. 2016 führte GreenBirth eine Onlinebefragung durch, initiiert von betroffenen Frauen.
Jetzt (2020) wurde in der "S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin" dieses Thema aufgegriffen. Die Arbeitsgruppe, bestehend aus verschiedenen Berufsvertretern setzte zwei Empfehlungen in die Leitlinie:
1.) Ein Dammschnitt aus Routine soll nicht mehr durchgeführt werden (woraus zu ersehen ist, dass er viel zu oft aus Routine und ohne individuelle Notwendigkeit erfolgte).
2.) Wird ein Dammschnitt gemacht, soll er in einem bestimmten Winkel gesetzt werden...
Unsere Empfehlung: Versuchen Sie, möglichst eine vertikale (aufrechte) Geburtshaltung einzunehmen und legen Sie schriftlich fest, dass Sie keinen Dammschnitt wollen. Ein Riss im Gewebe heilt besser. Voraussetzung für die aufrechte Haltung ist, dass Sie keiner Einleitung (ohne Not) zustimmen und dann auch keine PDA brauchen, die den Unterkörper lahm legt und zwangsläufig zu einer liegenden Geburt führt.
Lesen Sie nachfolgenden Text.
Was steht in der S3-Leitlinie?
LL = Aussagen der S3-Leitlinie, Kurzfassung. Wir geben den Inhalt in nichtmedizinischer Sprache wieder. Zitate sind mit „...“ und Seitenangabe markiert.
GreenBirth: Wir erläutern ohne den Anspruch der Vollständigkeit und ohne Gewähr. Alle Hervorhebungen, fett oder kursiv von Greenbirth.
Die Leitlinie trifft zwei Aussagen
8.13 - „Eine routinemäßige Episiotomie während einer spontanen vaginalen Geburt soll nicht durchgeführt werden.“ (S.71) Zur Begründung wird angeführt, dass durch diesen Eingriff Verletzungen verursacht werden, die ohne Dammschnitt nachweislich seltener auftreten.
8.14.- „Wenn eine Episiotomie durchgeführt wird, soll diese mediolateral ausgeführt werden.“ (S. 72) Das bedeutet, der Dammschnitt soll in einem bestimmten Winkel ausgeführt werden.
Der Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) und Mother Hood stimmen dieser Empfehlung nicht zu. In der Langfassung der Leitlinie ist die gemeinsame Stellungnahme abgedruckt. Es wird ersichtlich, welche Gefahren sie durch diese "Empfehlung" sehen. Die gemeinsame Stellungnahme gipfelt in dem Satz: „Mother Hood e.V. und der AKF e.V. kritisieren daher die Empfehlung für eine Maßnahme, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die sexuelle Gesundheit der Mutter verletzt, deren Evidenzlage unzureichend dargestellt ist und für deren grundsätzlichen Nutzen ein Nachweis fehlt. Weitere Forschung zum grundsätzlichen Nutzen der Maßnahme wird gefordert. Die Empfehlung 8.14. kann gestrichen werden, da Empfehlung 8.13 für ausreichend erachtet wird.“
GreenBirth: Dammschnitte aus Routine werden, so hoffen wir, laut S3-Leitlinie nun der Vergangenheit angehören. Auch wenn Dammschnitte nicht mehr routinemäßig durchgeführt werden sollen, bleiben sie weiterhin empfohlen. Lediglich die Ausführungsart wird näher bestimmt: “Wenn eine Episiotomie durchgeführt wird, soll diese mediolateral ausgeführt werden“.
Ein Dammschnitt aus Routine und/oder zur Beschleunigung der Geburt – ohne nachgewiesenen Nutzen – kommen einer Körperverletzung ohne Not und ohne Einwilligung gleich, die gegen Art. 2 Abs. 2 im Grundgesetz verstößt. Das Festhalten an dieser Körperverletzung ist ein Ärgernis von enormer Bedeutung und kann keinesfalls hingenommen werden.
Im Gegensatz dazu sind Dammverletzungen kleinere oder größere Gewebsrisse, die in aller Regel besser heilen als Schnitte.
Frauen sollten bei der Geburt eine aufrechte Haltung bevorzugen, weil sich dann das Becken mit seinen beweglichen Teilen optimal weiten kann. Daraus ergibt sich auch, dass Frauen die Geburt ohne Wehenmittel - d.h. ohne künstliche Beschleunigung - planen sollten und sie sich die Zeit und den Raum nehmen können, den sie brauchen.
Unsere Empfehlung fußt auf der Dissertation von Grudrun Nitsche. Ihre Forschung zum Dammschnitt wurde 2006 in der Uni-Klinik Groß Hadern (München) durchgeführt. Das beeindruckende Ergebnis: Dammschnitte, orientiert am Befinden des Kindes, führen bis heute an dieser Klinik zu Eingriffen unter 10 %. Diese Studie entspricht höchstem wissenschaftlichen Standard (randomisiert). Offensichtlich wurden entscheidende Studien nicht veröffentlicht und darum bei der S3-Leitlinienarbeit nicht berücksichtigt.
Allgemeine Informationen zur Leitlinie
Kurzfassung der Leitlinie
10/2022