Studie Be-Up: Geburt aktiv
Vergleich zwischen Be-Up-Gebärraum (BUG) und üblichem Gebärraum (ÜG) überrascht
Aus der Pressemitteilung: Ziel der „Be-Up-Studie: Geburt Aktiv“ war es, die Auswirkungen einer neu gestalteten Gebärumgebung zu ermitteln, die den Frauen unter der Geburt mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht und ihnen mehr Selbstwirksamkeit und Kontrollgefühl gibt…..“
Zeitraum: April 2018 bis Mai 2021 – Teilnehmerinnen 3.815 Frauen
Teilnehmende Kliniken: 22 aus neun Bundesländern.
Ergebnisse:
Der Vergleich zwischen Be-Up-Gebärraum (BUG) und üblichem Gebärraum(ÜG) zeigt im Ergebnis, dass nur bei wenigen Einzelaspekten signifikante Unterschiede festgestellt wurden. Wesentliche Erwartungen, dass es eigentlich zu mehr messbaren Unterschieden bei den Ergebnissen kommen müsste, trafen überraschend nicht ein.
Vaginalgeburten: Die große Überraschung ist, dass bei beiden Gebärraum-Typen die Zahl von Vaginalgeburten in fast gleichem Maße signifikant angestiegen ist. Im BUG von 77,6 % auf 89,1 % (+ 11,4 %) – im ÜG von 75,9 % auf 88,5 % (+12,6 %). Das bedeutet, dass die Zahl der Kaiserschnitte in gleichem Maße zurück ging. Im BUG waren es nur noch 10,9 % im ÜG nur noch 11,5 %.
Worterklärungen
Spontangeburt = Geburt wurde ohne Eingriffe von außen vollendet.
(nur) Forceps = Eine Geburtszange kam zum Einsatz
Sekundäre Sectio = Während des Geburtsprozesses wurde entschieden, die Geburt durch Kaiserschnitt zu beenden.
Nur Vaccum = Die Geburt wurde mit einer Saugglocke beendet.
Vaccum + Forceps = Bei der Geburt kamen eine Saugglocke und eine Geburtszange zum Einsatz.
Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass es keine Vorteile für Frauen im BUG gab im Blick auf Amniotomie (aktive Blasensprengung) (je 20 %), Oxytocin-Tropf (künstliches Wehenmittel) 43/41 %, Lachgas (Schmerzmittel) (11/10 %) und „Sonstige Schmerzmittel“ (55/54 %). Im Gegenteil liegen die Werte gleichauf bzw. im Vergleich zum ÜG leicht darüber.
Worterklärungen
Amniotomie: Die Fruchtblase wird willentlich geöffnet, um die Geburt zu beschleunigen.
Oxytocin-Tropf: Ein synthetisches Wehenmittel wird gegeben, wenn man annimmt, dass die Frau nicht genug oder zu wenig eigene Wehen entwickelt.
Lachgas: Wird zur kurzzeitigen Schmerzmilderung eingesetzt. Dabei wird die Wahrnehmung von Schmerz herabgesetzt.
Sonstige Schmerzmittel/Spasmolytika: Tabletten, Zäpfchen, in die Vene gespritzte Entspannungsmedikamente bis hin zum hochpotenten Schmerzmittel einer PDA.
Diese „nebenbei" erhobenen Daten verdeutlichen, in welch enormem Maße in Geburtsprozesse eingegriffen wird.
Mit Blick auf die S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin sollte deutlich sein, wie wichtig elterliche Mitsprache und Mitbestimmung ist und wie wichtig es ist, dass das Klinikpersonal spürt, dass Eltern Bescheid wissen.
Wichtig ist, dass bei der Be-Up-Studie der Fokus der Untersuchung allein auf dem Vergleich des Mobiliars lag und der Beweglichkeit der Frau während der Geburt. Medikamentöse und sonstige Eingriffe wurden nebenbei mit erfasst.
Mit der Erhebung dieser Daten verfügen wir über den IST-Stand (Mai 2021) beim Einsatz von Medikamenten und Interventionen.
Fazit:
• Die Be-Up-Studie zeigt nicht, dass ein bestimmtes Mobiliar das Geburtsergebnis für Mutter und Kind verbessert. Die Ursache für den Anstieg der Vaginalgeburten (in beiden Gebärraum-Typen) muss an anderer Stelle gesucht werden.
• Die Studie zeigt, dass die Teams in Kliniken lernfähig sind, unabhängig vom Mobiliar.
• Die Studie zeigt, dass sich der Informationsstand und -fluss in Klinikteams, die wir auch als System-Gruppen verstehen können, als Faktor auswirkt. Hier: Hebammen, Ärztlnnen = Fachpersonalgruppe – gebärende Frauen und Begleitung wären dann die Nutzergruppe.
• Die Information für die Nutzergruppe, die an der Studie teilnahm, musste für alle gleich sein, weil die Zuteilung in die Gebärraumtypen nach Zufall erfolgte. Dabei wird Informationsfluss stattgefunden haben, der zu einer veränderten Motivation geführt haben könnte. (Bei der Online-Präsentation am 18.10.2022 wurde eine Studie erwähnt, die solche Zusammenhänge untersucht hat).
• Informationen an die Fachpersonalgruppen in den beteiligten Kliniken: Der Entscheidungsprozess, an dem Projekt teilzunehmen, dürfte die Motivation und den Informationsstand der beteiligten Teams an 22 teilnehmenden Kliniken beeinflusst haben.
• Bei der Durchführung der Studie konnte gewonnenes Wissen und Erfahrung nicht an der einen Gebärraumtür „abgehängt“ werden, um im anderen Gebärraum derselben Klinik dieses Wissen nicht einzusetzen. Das wäre ethisch nicht zu vertreten gewesen. Somit zeigt die Studie unvermutet, wie Systeme lernen, nämlich durch gemeinsame Ziele, Projekte und Beteiligung.
• Daraus folgt, dass bei beiden beteiligten Gebärraum-Typen – unabhängig vom Mobiliar die Nutzergruppe und die Fachpersonalgruppen als Teile des Systems Krankenhaus Veränderungen herbeiführen konnten, die im Ergebnis zu signifikant höheren Prozentzahlen bei Vaginalgeburten führten (und im Umkehrschluss zu bedeutend sinkenden Kaiserschnittoperationen (10,9 % im BUG und 11,5 % im ÜG).
• Mobiliar scheint eine untergeordnete Rolle zu spielen. Vielmehr scheint es um die Haltung aufgrund von Informationen in Gruppen innerhalb eines Systems zu gehen, hier im System Krankenhaus.
• Vom Be-UP-Mobiliar könnte eine symbolische Signalwirkung für die Nutzergruppe und die jeweilige Fachpersonalgruppe ausgehen, was sich positiv auswirken kann.
• Die fast identisch hohen medizinischen Interventionen in beiden Gebärraum-Typen zeigen, dass diesbezüglich die Studie keine Interventionsschulung geplant hatte. Die Konzentration auf das unterschiedliche Mobiliar stand im Mittelpunkt. Darum kann als wichtiger Nebeneffekt zum Zeitpunkt des Abschlusses der Studie (Mai 2021) der IST-Wert bezüglich der medizinischen Interventionsraten als verlässlich gelten.
Alle Informationne beruhen auf einer öffentlichen Online-Präsentation vom 18.10.2022
10/2022