Geburtshaltungen – viele Möglichkeiten
Acht Positionen mit Vor- und Nachteilen
Interview mit Prof. Dr. Christiane Schwarz am 10.12.2015. GreenBirth ergänzt mit einigen Zusätzen.
75 Prozent der Klinikgeburten erfolgen in der falschen Position.
Auch wenn es so in den meisten Kliniken praktiziert wird: Viel spricht nicht für die Geburt in Rückenlage.
Eine Geburt im Entbindungsbett ist in Deutschland die am meisten verbreitete Methode. Drei von vier Frauen bringen ihr Kind in Rückenlage zur Welt. Das ist alles andere als ideal, findet die Hebamme und Hochschul-Lehrerin Christiane Schwarz. Sie erklärt, welche Geburtshaltungen für Mutter und Kind besser sind.
Frauen haben vielfältige Möglichkeiten, die Geburt ihres Babys zu gestalten: Sie können wählen, ob ihr Kind im Geburtshaus, zu Hause oder in der Klinik zur Welt kommt. Auch während der Entbindung sollten sie mitentscheiden, welche Gebärposition für sie am angenehmsten ist – sei es Stehen, Hocken oder Liegen.
Die Rückenlage hat erhebliche Nachteile: „In dieser Position kann sich das Becken nicht bewegen, und der Geburtskanal ist enger. Deshalb hat die Frau mehr Schmerzen, und die Geburt dauert im Vergleich auch länger," erklärt Schwarz im Apothekenmagazin „Baby und Familie".
GreenBirth: Zudem kann es in Rückenlage dazu kommen, dass die große Hohlvene (vena cava) durch das Eigengewicht gedrückt wird, was zu einer schlechteren Blutversorgung der Geburtsmuskeln und der Plazenta führt. Daraus resultiert eine geringere Geburtskraft und schlechtere Sauerstoffversorgung des Kindes bis hin zum Abfallen der Herztöne.
Je beweglicher desto besser
Im Gespräch mit t-online.de erklärt Schwarz, die den Studiengang für Hebammenwissenschaften an der Hochschule Lübeck/Kiel leitet, dass es die für alle Frauen „ideale Gebärhaltung" nicht gibt. „Eigentlich gibt es nur individuelle Positionen für die individuelle Frau während einer individuellen Geburt."
Das heißt, jede Schwangere muss selbst spüren und mit der fachkundigen Unterstützung der Hebamme herausfinden, was ihr guttut. „Alles was statisch und unveränderbar ist, ist schlecht bei einer Geburt. Variabilität ist das Maß aller Dinge", kommentiert Schwarz. „Der natürliche Reflex des Menschen ist es, bei jeder Art von Schmerz lindernde Anpassungsbewegungen zu machen. Man denke nur an das typische, heftige Fingerschütteln, nachdem man sich mit dem Hammer auf den Nagel gehauen hat."
Übertragen auf eine Geburt bedeutet dies: Indem sich Frauen während der Entbindung bewegen und die für sie im jeweiligen Moment angenehmste Haltung einnehmen können, setzen sie einen Gegenimpuls zum Wehenschmerz, mildern ihn so ab und tun automatisch das Richtige für sich und das Baby.
Vertikale Gebärpositionen sind besser als horizontale
Diese wohltuende Flexibilität ist insbesondere bei eher vertikalen Geburtshaltungen möglich, zu denen Stehen, Hocken, Knien und der Vierfüßlerstand zählen. „Eigentlich sind dies die natürlichsten Gebärpostionen", erläutert Schwarz. „Hier wirkt sich zum einen die Schwerkraft positiv aus und zum anderen kann die werdende Mutter durch die Bewegungsfreiheit ihre Muskulatur optimal einsetzen. Das beschleunigt oftmals den Vorgang ohne dabei mehr Schmerzen zu verursachen. Man zahlt also keinen ,höheren Preis' für die Schnelligkeit." Außerdem werde bei aufrechter Haltung die Gebärmutter stärker durchblutet, so dass die Sauerstoffversorgung des Kindes besser sei und die Risiken geringer würden. Außerdem seien seltener Dammschnitte nötig, weil das Baby nicht plötzlich „befreit" werden müsse.
Vertikale Gebärhaltungen haben jedoch nicht nur aus medizinischer Sicht zahlreiche Vorzüge. Sie motivieren und beflügeln die werdenden Mütter. Schwarz sagt: „Frauen, die in solchen Positionen entbinden und dadurch die Geburt selbst steuern können, haben meist ein deutlich positiveres Geburtserlebnis, weil sie sich nicht so ausgeliefert fühlen - nach dem Motto: 'Ich habe das geschafft, weil ich selbst aktiv sein konnte und nicht fremd bestimmt war.' Es sei hilfreich, wenn die Gebärende bei der Entbindung eine vertraute Person bei sich habe, die sie immer wieder zur Bewegung und zum Positionswechsel ermutige.
Gebärende in „Küchenarbeitshöhe"
Angesichts solcher Erfahrungswerte ist es verwunderlich, dass an deutschen Krankenhäusern immer noch rund 75 Prozent der Entbindungen in der eher statischen Liegeposition auf dem Kreißsaalbett stattfinden. Zusätzlich bekämen 60 Prozent der Schwangeren eine PDA gelegt und seien zusätzlich zu Passivität verurteilt, erklärt Schwarz, die seit 30 Jahren als Hebamme arbeitet. In der außerklinischen Geburtshilfe bevorzugen nach ihrer Erfahrung nur wenige Frauen die liegende Gebärhaltung.
„Für einen möglichst reibungslosen Ablauf des Klinikbetriebes ist es praktischer, die Schwangeren in 'Küchenarbeitshöhe' - ähnlich wie im OP - vor sich zu haben. Das ist bequem für die beteiligten Helfer, denn so ist es leichter, mehrere Geburten gleichzeitig zu betreuen", merkt Schwarz kritisch an. „Geburtshelfer können bei liegenden Frauen beispielsweise besser einen Dammschnitt durchführen."
Uniklinik Frankfurt unterstützt „Vierfüßler-Haltung"
In manchen Entbindungsstationen löst man sich allerdings mittlerweile von der Gewohnheit, bevorzugt Geburten in der Horizontalen durchzuführen. In der Uniklinik Frankfurt etwa, berichtet Schwarz, werde zunehmend der „Vierfüßlerstand" als optimale Gebärhaltung empfohlen. Diese Position habe sich gerade bei Babys in Steißlage bewährt, denn Kaiserschnitte könnten dadurch vermieden werden.
Welche Entbindungspositionen es gibt und welche Vor- und Nachteile sie haben, vermittelt der folgende Überblick mit Erläuterungen von Geburtshelferin Christiane Schwarz:
1. Rückenlage: „Eigentlich hat diese unflexible Liegehaltung für Mutter und Kind keine Vorteile. Im Gegenteil: Für viele Frauen ist die Rückenlage sehr schmerzhaft. Es kann sogar gefährlich werden, wenn durch die andauernde Rückenlage das sogenannte Vena-Cava-Kompressionssyndrom auftritt. Dabei handelt es sich um eine Komplikation, bei der durch das Gewicht des Kindes die Blutzufuhr zum Herzen der Mutter behindert wird. Die Folge: Kreislaufstörungen und Übelkeit bei der Mutter sowie eine mögliche Sauerstoffunterversorgung beim Baby." Auch die Wahrscheinlichkeiten für Geburtsverletzungen und Schulterdystokie ist wesentlich höher.
2. Sitzen: „Die starre Gebärstellung ist fast identisch mit der Rückenlage, denn sie ist eigentlich nichts anderes als Sitzen im Entbindungsbett. Deshalb zählt diese Haltung zu den weniger vorteilhaften Positionen, da sie sich vor allem durch geringe Dynamik auszeichnet und den Schwangeren wenig Raum gibt, aktiv mitzuwirken."
3. Seitenlage: „Diese Gebärhaltung hat den Vorteil, dass sich die Schwangeren dabei gut ausruhen und entspannen können. Der Nachteil ist, dass in dieser horizontalen Position der Geburtsvorgang nur wenig unterstützt wird, denn weder Schwerkraft noch muskuläre Kraft können dabei optimal genutzt werden."
4. Vierfüßlerstand: „Diese Haltung garantiert zum einen gute Bewegungsmöglichkeiten und zum anderen können Rückenschmerzen so gemildert werden. Außerdem wird der Damm entlastet, so dass es seltener zu Rissen kommt. Der Nachteil des Vierfüßlerstandes ist jedoch, dass er anstrengend ist - insbesondere für die Bein- und Armmuskulatur. Leichter geht es, wenn die Frau sich mit den Armen auf einem Gymnastikball abstützt.
5. Stehen: „Durch diese vertikale, am wenigsten statische Haltung, wird der Gebärvorgang optimal unterstützt und beschleunigt, da eine maximale Beweglichkeit des Beckens möglich ist."
6. Knie-Position: „Hier gibt es dieselben Vorteile wie beim Stehen…,"
GreenBirth: Eine weiche Unterlage am Boden oder auch im Gebärbett mit Blick auf die Rückenlehne sind dabei von Vorteil. So kann diese Position, im Fersensitz oder nach vorn abgestützt, bzw. in Tüchern, die von der Decke hängen, lange sehr bequem sein und die Schwerkraft optimal nutzen.
7. Hock-Stellung: „Auch diese Haltung ist eine gute Unterstützung für den Entbindungsvorgang, weil die Hock-Position eine Weitung des Beckenausgang verursacht."
GreenBirth: Da im westlichen Kulturkreis diese Position kaum im Alltag eingenommen wird, lohnt sich Gymnastik in der Schwangerschaft. In vielen Ländern ist sie eine klassische Toilettenposition. Als Hilfsmittel eignen sich auch Gebärhocker, Kissen oder die Beine eines Geburtsbegleiters. Und wie Alfred Rockenschaub geschrieben hat, „ein enormer Vorteil der Geburt in der aktiven Hocke liegt darin, dass all die Handgriffe, mit denen Hebammen und Mediziner die Gebärende zu malträtieren pflegen, in der aktiven Hocke gar nicht oder nur mühsam umzusetzen sind". (Gebären ohne Aberglaube 2005).
Selbst wenn von Helfern Handgriffe mit bester Absicht angewandt werden, sind sie in dieser Position kaum nötig. Da der Beckenausgang maximal geöffnet ist und die Schwerkraft, wie auch die Bauchmuskeln perfekt arbeiten können. Dadurch kommt es kaum zu Komplikationen und Geburtsverletzungen.
8. Wassergeburt: „In einer Geburtswanne zu entbinden hat eigentlich keine Nachteile, nur Vorteile. Deshalb ist es mein Favorit unter den Gebärhaltungen. Die Frauen sind im Wasser völlig frei in ihrer Beweglichkeit und empfinden die Geburt im nassen Element meist als weniger anstrengend. Außerdem wirkt das angenehm warme Wasser schmerzlindernd und hilft Dammrisse zu vermeiden. Auch Keimbelastung muss hier nicht befürchtet werden. Diese Methode ist mittlerweile so beliebt, dass sie in einigen Entbindungsstationen beziehungsweise Geburtshäusern, die Wassergeburten anbieten, bis zu 50 Prozent der Geburten ausmachen."
Wir danken Julia Licht für ihre Ergänzungen
10/2022