Tragen des Babys – verwöhnt?
… oder staucht die Wirbelsäule?
Aus: Bettina Salis, Hebamme und Journalistin: „Ein Baby will am Körper sein“, veröffentlicht im Hebammenforum 2004
„Jahrtausende wurden Menschenbabys getragen. Erst seit etwa 150 Jahren werden Argumente gegen das Tragen laut, die sich – trotz der zahlreichen Hinweise, dass es sich bei Menschen um Traglinge handelt – bis heute hartnäckig halten, vor allem die Befürchtung, ständiges Tragen verziehe den Nachwuchs und stauche seine Wirbelsäule.
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Viele Menschen nehmen an, das Tragen, vor allem das Tragen in aufrechter Haltung, schade dem kindlichen Rücken. Auf den ersten Blick verständlich (führt doch nicht zuletzt das lange Sitzen in der heute erwachsenen Generation zu chronischen Rückenschmerzen), erfordert diese Behauptung doch genaueres Hinsehen.
Vielen Erwachsenen ist unwohl, wenn sie den leicht gekrümmten Rücken des Babys im Tragetuch sehen. Sie sähen ihn lieber gerade. Allerdings hat das Baby schon vor der Geburt lange Zeit in dieser Position verbracht. Und es ist ebenso wenig notwendig, nach der Geburt den Rücken des Babys aktiv zu strecken, wie es unnötig ist, die krummen Beinchen gerade zu wickeln – im Gegenteil:
Die Versuche früherer Generationen in unterschiedlichen Kulturen, Babys gerade zu wickeln, hatten eine gehäufte Zahl von Hüftdysplasien zur Folge.
Auch ob das passive Strecken des Rückens durch Liegen im flachen Bettchen wirklich rückengesund ist, darf bezweifelt werden. Immerhin haben die meisten von uns diese Behandlung im Säuglingsalter genossen – möglicherweise ein Grund dafür, dass viele heute Erwachsene chronische Rückenprobleme haben. Vielleicht wird dieser Zusammenhang ja eines Tages Gegenstand der Forschung sein.
Richtig ist sicher, dass ein Baby nicht aufrecht hingesetzt werden sollte, solange es noch nicht selbstständig frei sitzen kann. Das Sitzen auf der Hüfte eines Erwachsenen ist aber nicht vergleichbar mit dem Sitzen auf einem Stuhl. Ein Aufrichten des Körpers ist beim Getragen-Werden nicht erforderlich, sondern ein Nach-vorne-Beugen und Anlehnen an den Tragenden.
So findet das Baby Halt und kann nicht nach hinten kippen. Selbstverständlich müssen die Tragenden den kindlichen Rücken stützen – mit dem Arm oder einem Tragetuch/-gurt.
Der Rücken des Babys streckt sich dann im Laufe der Zeit von ganz allein. Wird das Kind getragen, ist es sogar viel schneller in der Lage, die dazu erforderliche Rückenmuskulatur aktiv auszubilden.“
Auf der Homepage von Bettina Salis finden Sie weitere interessante und hilfreiche Anregungen.
11/2022