Traglinge zeigen was sie brauchen
Vergleich zwischen Nesthockern und Nestflüchtern
„Lange stritt die Wissenschaft darum, ob es sich bei Menschenbabys um Nesthocker oder Nestflüchter handelt. Denn eigentlich passten sie in keine der bislang bekannten Kategorien.
Sie sind reifer als Nesthocker, die in der Regel nackt und blind auf die Welt kommen und sich nicht allein fortbewegen können. Und während Nesthocker stundenlang allein im Nest verharren, während ihre Eltern Nahrung besorgen, weinen Menschenbabys, wenn die Eltern aus ihrem Blickfeld verschwinden.
Im Gegensatz zu Nestflüchtern, die ihren Eltern schon bei der Geburt sehr ähnlich sehen, sind sie aber auch noch nicht in der Lage, diesen hinterherzulaufen.
Erst 1970 wurde der Begriff des Traglings eingeführt, zu dem neben Menschenbabys neugeborene Koalabären, Faultiere und diverse Affenarten gehören.
Der Tragling will getragen werden. Darauf deuten nicht zuletzt verschiedene Reflexe, die bis heute erhalten sind: So hilft der Greifreflex dem Baby, sich am Fell der Mutter festzuhalten (auch wenn Menschenbabys es da heute etwas schwerer haben ...).
Nimmt man ein Menschenbaby hoch, zieht es die Knie nach oben und außen und bringt so die Beinchen in eine Spreiz-Anhock-Haltung – bereit seitlich auf den (breiten) Hüften seiner Mutter Platz zu nehmen.
Abspreizwinkel und Hockstellung entsprechen dabei genau dem Winkel, den Ärzte zur Therapie oder Prophylaxe einer Hüftdysplasie empfehlen, weil sich so der Oberschenkelkopf am besten in die Hüftpfanne einfügt.
Im Hüftsitz getragene Säuglinge nehmen diese für die Entwicklung des Hüftgelenks ideale Beinhaltung automatisch ein: Die Oberschenkel bis zu einem rechten Winkel oder stärker angezogen und in einem Winkel von durchschnittlich 45° nach außen gespreizt.
Bereits wenige Wochen alte Babys klammern sich mit den gesamten Beinchen an die Mutter; sie verstärken sogar den Druck, wenn sie eine plötzliche Bewegung der Mutter spüren, um besseren Halt zu haben.“
Aus: Bettina Salis, Hebamme und Journalistin: „Ein Baby will am Körper sein“, veröffentlicht im Hebammenforum 2004. Auf der Homepage von Bettina Salis finden Sie weitere Veröffentlichungen.
11/2022